Ulrike Dobelstein-Lüthe

Ein Beitrag von Ulrike Dobelstein-Lüthe
Geschäftsführerin der Fürstenberg Foundation

Janne Solcher, fotografiert von ihrem Vater Bertram

Als Bertram Solcher begann, die Depression seiner Tochter Janne fotografisch festzuhalten, tat er das, was er als Vater und Fotograf am besten konnte: Er beobachtete, begleitete und hielt fest, was oft unsichtbar bleibt. Doch wie hat Janne selbst diese Zeit erlebt? Wie fühlt es sich an, wenn die eigene Krankheit durch die Linse eines geliebten Menschen dokumentiert wird?

Janne Solcher, fotografiert von ihrem Vater Bertram

In diesem Interview spricht Janne offen über ihren Weg mit der Depression – von den ersten Anzeichen über den Moment der Diagnose bis hin zu den Herausforderungen und Erkenntnissen, die sie heute begleiten. Sie erzählt von Ängsten und Erleichterung, von Therapie und dem Wert offener Gespräche. Und sie zeigt, dass auch in dunklen Zeiten ein Weg nach vorn möglich ist.

Ulrike: Wann hast Du gemerkt, dass etwas nicht stimmt? Gab es einen bestimmten Moment oder war es ein schleichender Prozess?

Janne: Das war ein schleichender Prozess. Ich war anfangs oft erschöpft und habe sehr viel geschlafen. Da habe ich eher an ein Problem mit der Schilddrüse gedacht oder Long Covid. Irgendwann kamen dann Schlafprobleme, Appetitlosigkeit, sozialer Rückzug und Emotionsverlust dazu. Ich habe mich nur noch wie eine leere Körperhülle gefühlt. Mir das einzugestehen und meinen Eltern davon zu erzählen, hat dann aber nochmal sehr lange gebraucht.


Wie hast Du Dich gefühlt, als die Diagnose gestellt wurde?

Auf der einen Seite war es eine Erleichterung. Ich wusste, dass ich jetzt professionelle Hilfe bekommen würde. Auch wenn es etwas gedauert hat, konnte ich die Krankheit mit ihren ganzen Symptomen von mir als Person abspalten. Vorher hatte ich immer das Gefühl, eine schlechte Freundin, eine schlechte Tochter oder eine schlechte Schwester zu sein. Auf der anderen Seite hatte ich natürlich Angst, wie andere Menschen mich jetzt sehen würden und ob ich jetzt die "Verrückte" bin.


Wie hat Dein Umfeld auf Deine Erkrankung reagiert?

Anders als gedacht, sehr positiv. Der Grund, warum ich mich so lange versteckt habe, war das Schamgefühl und die Angst, schwach zu wirken. Keine von meinen Ängsten hat sich bestätigt. Ganz im Gegenteil. Ich habe unfassbar viel Unterstützung bekommen und es fiel mir deutlich leichter, meine Grenzen zu kommunizieren.

Eine Depression hat mehr als ein Gesicht.  Fotos: Bertram Solcher

Was hilft Dir am meisten in schwierigen Phasen am meisten?

Ich würde sagen, am meisten hilft mir Bewegung, frische Luft, meine Ängste oder Probleme aufzuschreiben und mit vertrauten Personen über meine Gedanken und Sorgen zu sprechen. Ich musste aber erst einmal lernen, Gefühle, vor allem negative Gefühle, zuzulassen, um diese auch richtig verarbeiten zu können.


Wie stehst Du heute zu Deiner Erkrankung?

Ich würde nicht sagen, dass ich dankbar bin für die Krankheit. Ich habe meinen Studienplatz verloren und hatte eine wirklich harte Zeit, in der ich sehr oft an mir und dem Leben gezweifelt habe. Aber auf der anderen Seite habe ich in der Therapie sehr viel über mich selbst gelernt. Mir wurde Handwerkszeug gegeben, das ich mein ganzes Leben lang nutzen kann. Ich weiß, dass ich jetzt alles schaffen kann, auch wenn es mal nicht danach aussieht. Mit meiner Familie und meinen Freunden bin ich noch enger zusammengewachsen. Also ich würde sagen, im Endeffekt hat alles im Leben seinen Sinn und den werde ich in ein paar Jahren bestimmt auch benennen können.


Welche Rolle spielt Therapie für Dich? Gibt es bestimmte Methoden oder Strategien, die Dir besonders geholfen haben?

Therapie war sehr wichtig für mich. Mittlerweile habe ich seit einem halben Jahr keine Therapie mehr. Es war für mich immer ein Safespace, in dem ich über Dinge reden konnte, mit denen ich weder meine Eltern noch meine Freunde belasten wollte. Mir hat es am Anfang total geholfen, erstmal eine Tagesstruktur aufzubauen und dort auch bewusst Zeiten nur für mich einzuplanen. Die habe ich mit Dingen gefüllt, die meine Batterie wieder aufladen. Das nutze ich heute auch noch sehr viel.


Wie hast Du es empfunden, dass Dein Vater Dich während dieser Zeit fotografiert hat?

Um ehrlich zu sein, habe ich das gar nicht so aktiv wahrgenommen. Da mein Vater mich schon mein ganzes Leben lang fotografiert, gehört das irgendwie zum Alltag dazu.


Gab es Momente, in denen Du nicht mehr fotografiert werden wolltest? Falls ja, warum hast Du es dann doch zugelassen?

Nicht, dass ich mich daran erinnern könnte und wenn doch, war ich wahrscheinlich zu k.o. um das zu äußern.


Foto: Bertram Solcher

Hast du durch die Bilder eine neue Perspektive auf Dich selbst oder Deine Krankheit bekommen?

Als wir uns die Bilder angeschaut haben, habe ich einfach gemerkt, wie wenig die eigentlich Janne darin zu sehen war. Entweder war ich total abwesend oder meine Emotionen waren total überspitzt, weil ich sie eben nur gespielt habe. Das war schon erschreckend.


Wie fühlst Du Dich heute, wenn Du die Bilder aus dieser Zeit ansiehst? Erkennst Du Dich selbst darin wieder?

Nein. Ich erkenne, wie die Krankheit mich in der Zeit verändert hat. Aber das war eben nicht ich, sondern die Krankheit.

Haben sich Deine Beziehungen zu Freund*innen oder Deiner Familie durch die Erkrankung verändert? Wenn ja, wie?

Ja. Auf eine sehr positive Weise. Ich würde sagen, dass das Grundvertrauen deutlich gewachsen ist. Mit meiner Familie kann ich mittlerweile viel besser über meine Probleme sprechen, weil ich weiß, dass ich mich nicht schämen muss und, das hört sich jetzt vielleicht kitschig an, die familiäre Liebe viel stärker als jedes Problem ist. Meine Freundschaften sind dadurch auch gewachsen. Ich weiß auf wen ich mich verlassen kann, wenn es hart auf hart kommt und das hat die Freundschaften auf ein anderes Level gehoben.


Was würdest Du anderen Jugendlichen sagen, die mit ähnlichen Problemen kämpfen? Gibt es etwas, das Du selbst gerne früher gewusst hättest?

Man muss sich absolut nicht für seine Situation schämen und es ist auch kein Zeichen von Schwäche, wenn man nach Hilfe fragt! Jeder lebt sein eigenes Leben in seinem eigenen Tempo. Da bringt es überhaupt nichts, sich mit anderen zu vergleichen und denselben Weg gehen zu wollen wie jemand anderes. Der wichtigste Mensch in seinem eigenen Leben ist man selbst. Und wenn man immer nur bei anderen einschenkt, bleibt man irgendwann selbst auf der Strecke. Die Sachen hören sich vielleicht ein bisschen plakativ an und findet man wahrscheinlich in jedem Selbsthilfe Ratgeber, aber trotzdem sind sie so wichtig.


Wie blickst Du in die Zukunft? Gibt es Dinge, auf die Du Dich besonders freust oder vor denen Du Angst hast?

Ich schaue sehr positiv in die Zukunft, weil ich weiß, egal was kommt, ich schaffe das und werde nur stärker daraus. Ich freue mich sehr darauf, nach fast vier Jahren mein Leben wieder in vollen Zügen genießen zu können. Ich liebe es, wieder Emotionen im ganzen Körper zu spüren, egal ob positiv oder negativ. Ich habe immer die kleine Angst in meinem Kopf, dass ich irgendwann nochmal in eine depressive Episode komme. Ich möchte mich einfach nie wieder so fühlen. Aber ich habe in meiner Therapie gelernt, Frühwarnzeichen zu erkennen und wie ich dagegen ansteuern kann. Und es ist vollkommen in Ordnung, mal niedergeschlagen zu sein. Das bedeutet nicht direkt, in einer depressiven Episode zu stecken. Das muss ich auf jeden Fall noch lernen.


Was sollte sich in unserer Gesellschaft ändern, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen besser unterstützt werden?

Ich glaube, das Wichtigste ist, offen über diese Thematik zu sprechen und über psychische Krankheiten aufzuklären. Es bringt nichts, Menschen mit einer Depression zu sagen, dass sie mal wieder mehr lachen sollen. Psychische Krankheiten redet man sich nicht ein, sondern sie hängen oftmals mit einem Ungleichgewicht des Neurotransmitter Systems zusammen. Da bringt Lachen dann auch nichts. Aber dafür ist ganz viel Aufklärung und Psychoedukation zu leisten.


Jannes Geschichte zeigt, wie herausfordernd, aber auch wie wichtig es ist, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen und darüber zu sprechen. Sie hat gelernt, auf sich selbst zu achten, ihre Gefühle anzunehmen und Hilfe zuzulassen. Auch wenn der Weg nicht immer leicht war, hat sie heute Strategien und ein Umfeld, das sie stärkt.

Ihr Mut, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, ist ein Zeichen dafür, dass niemand allein durch diese Dunkelheit gehen muss. Liebe Janne, herzlichen Dank für Deine Offenheit in diesem Interview!

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